Paracelsus-Klinik ist mit künstlicher Intelligenz Hepatitis C auf der Spur

Paracelsus-Klinik ist mit künstlicher Intelligenz Hepatitis C auf der Spur

Von Ina Fischer
Die Dunkelziffer an Hepatitis C-Erkrankungen ist hoch. Dabei kann das Virus unbemerkt die Leber zerstören. Die Paracelsus-Klinik hat erforscht, wie versteckte Hinweise auf eine Infektion mittels künstlicher Intelligenz frühzeitig entdeckt werden können. Die Ergebnisse wurden jetzt im Journal of Translational Medicine veröffentlicht und finden international Beachtung.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind weltweit mindestens 70 Millionen Menschen an einer chronischen Hepatitis C erkrankt. Weltweit – das klingt nach Entfernung, nach einer Erkrankung, die ebenso weit weg von uns ist wie Ebola. Doch die Deutsche Leberstiftung warnt die Bevölkerung auch in den eigenen Reihen. Sie schätzt, dass in Deutschland zwischen 250.000 und 300.000 Menschen mit dem Hepatitis C-Virus infiziert sind, davon aber viele gar nichts wissen. Deshalb machte die Organisation, die aus dem in 2000 gegründeten und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Kompetenznetz Hepatitis hervorgegangen ist, nun auf ein vielversprechendes Projekt aufmerksam: DETECT.

Ein künstliches Hochleistungsgehirn wertet dabei verschiedene Parameter von Behandlungsdaten aus und kommt so dem versteckten Virus auf die Schliche. Ausgangspunkt für das womöglich weltweit bahnbrechende Big Data-System war ausgerechnet Marl, denn der Projektleiter der Studie ist PD Dr. Markus Reiser, Chefarzt der Medizinischen Klinik II für Gastroenterologie-Hepatologie, Kardiologie und Infektiologie an der Paracelsus-Klinik. Reiser, ein Pionier der ersten Stunde bei der Deutschen Leberstiftung, beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Hepatitis C, absolvierte bereits seine Doktorarbeit sowie einen anschließenden zweijährigen Forschungsauftrag in den USA zum Thema.

Im Interview sprach er über neue Therapieansätze mit Hilfe künstlicher Intelligenz, aber auch über Stolpersteine:

Herr Dr. Reiser, was genau beinhaltet Ihr Projekt, was wurde untersucht und wofür?

DETECT ist ein neuer Ansatz, um Prädikatoren für das Vorliegen einer chronischen Hepatitis C erkennen zu können. Dazu haben wir Gesundheitsdaten von mehr als 1,8 Millionen Versicherten von 2009 bis 2014 analysiert (untersucht). Die privaten Krankenversicherungen HUK-Coburg sowie die Debeka haben uns Behandlungsdaten ihrer Versicherten in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt, etwa, welche Rezepte ein Patient bekommen hat, wie oft er in diesen fünf Jahren beim Arzt oder im Krankenhaus war, welche Medikamente er nahm, wie oft er eine AU hatte…. Mit diesen soziomedizinischen Daten haben wir dann ein Computer-Hochleistungsgehirn gefüttert und es angelernt, worauf in diesem neuronalen Netzwerk zu achten ist.

Worauf ist denn zu achten, was sind Anzeichen für eine Hepatitis C-Infektion?

Verdachtsmomente können Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen, aber auch Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes mellitus, der schwer einstellbar ist, sowie Depressionen sein. Wir haben den Computer Auffälligkeiten prüfen lassen, die auf eine Hepatitis schließen lassen. Beispiele sind, wer besonders viele Schmerzmittel wie Ibuprofen etwa gegen Gelenkschmerzen oder Thyroxin bei einer Schilddrüsenerkrankung verordnet bekam. Es gab in der Vergangenheit bereits Screening-Programme, die nach Faktoren wie einer Bluttransfusion vor 1992 oder Drogenkontakt gefragt haben, aber das deckte bei Weitem nicht alles ab. Unsere Idee war, zu fragen, ob der Datenbestand der Krankenkassen darüber hinaus Hinweise auf eine unerkannte Infektion geben kann. Hinweise, die eben nicht sofort nach Hepatitis C riechen.

Inwiefern riechen denn Bluttransfusionen vor 1992 danach?

Hepatitis C ist ein Virus, das durch Blutkontakt übertragen werden kann, unter anderem auch durch Arzt- oder Zahnarztkontakte Anfang der 90er Jahre, als die Hygienemaßnahmen entsprechend niedriger angesiedelt waren. Das Problem ist, dass viele Erkrankte gar nicht wissen, dass sie sich infiziert haben. Denn Hepatitis C verursacht zunächst einmal keine oder unspezifische Symptome wie etwa bei einer Grippe. Selten kommt es zu einer Gelbsucht. Die Erkrankung verläuft sehr langsam. Sie können 40 Jahre lang eine Infektion in sich tragen und trotzdem keine Leberzirrhose bekommen. Wir schätzen die Dunkelziffer der Infizierten in Deutschland auf etwa 60 Prozent. Da nutzen dann auch neue sehr wirksame Therapien nichts.

Früher dauerte eine Hepatitis C- Therapie rund ein Jahr, was leisten die neuen Therapien und können sie den Probanden Ihrer Studie helfen?

2014 sind neue Therapien auf den Markt gekommen, mit denen eine Heilung innerhalb von acht bis zwölf Wochen ohne große Nebenwirkung möglich ist. Allerdings können wir den Erkrankten aus dem DETECT-Projekt nicht einfach so eine Therapie anbieten. Die Ethikkommission verlangte bei dem Projekt die absolute Anonymisierung der Daten mit der Begründung, dass Patienten ein Recht auf Nichtwissen hätten. Angesichts der neuen Therapieformen macht es meines Erachtens allerdings keinen Sinn, den Leuten diesen Nichtwissen auf eine Krankheit zu lassen.

Wie geht es denn jetzt weiter mit den DETECT-Ergebnissen, trotz dieser Krux?

Die Kassen haben schon Interesse daran, künftig auch umzusetzen, dass ein Rechner ein Risiko-Score für Hepatits C ausrechnet. Für einen Herzinfarkt gibt es das schließlich auch schon. Nur ist der Weg dahin lang, weil unser deutsches Datenschutzgesetz einige Steine in den Weg legt. Nichts desto trotz: Big Data ist sehr im Kommen. Vielfach wird bereits diskutiert, dass artifizielle Intelligenz dem Arzt überlegen ist. Ein Schach-Computer schlägt heute schon jeden Weltmeister. Umso spannender ist es, wenn durch künstliche Intelligenz ermittelt werden kann, wie hoch etwa die Wahrscheinlichkeit ist, an Parkinson oder Demenz zu erkranken.

Und welche Auswirkungen hat das Projekt gezielt auf unsere Region?

Unsere Region ist sehr stark durch Migration geprägt. Viele Menschen stammen aus Ländern, in denen die Infektionsrate höher ist als in Deutschland. Außerdem hatten hier verhältnismäßig viele Menschen Kontakt zu Drogen. Hepatitis C ist hier vermutlich überproportional vertreten. Deshalb halten wir in der Paracelsus-Klinik die Augen nach Anzeichen besonders offen.

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